EuGH-Urteil zur Massenentlassungsanzeige: Kündigungen (nicht) unwirksam?
Beabsichtigt ein Arbeitgeber die Entlassung von mehreren Arbeitnehmern gleichzeitig, hat er vor der Kündigung nicht nur die Arbeitnehmervertretung zu konsultieren, sondern auch die Bundesagentur für Arbeit zu informieren (§ 17 Abs. 3 KSchG und Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Europäischen Richtlinie 98/59).
Im streitigen Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG), war die Übermittlung einer solchen Kopie der Betriebsratsunterrichtung an die Bundesagentur für Arbeit jedoch unterblieben. Das Gericht hatte daher zu entscheiden, wie sich der Verstoß gegen § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG auf die Kündigung auswirkt. In ständiger Rechtsprechung hatte das BAG in der Vergangenheit bei Fehlern im Massenentlassungsanzeigeverfahren die Kündigung gemäß § 134 BGB für unwirksam erklärt. Dies sollte jedoch nur dann gelten, wenn die spezielle Norm Individualschutz verleiht. Das Bundesarbeitsgericht leitete ein Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH ein und fragte, welchen Zweck die zugrundeliegende Richtlinie in diesem Punkt verfolgt.
Der europäische Gerichtshof stellt in seinem Urteil vom 13. Juli 2023 (Rechtssache C-143/22) fest, dass das Unterbleiben der Unterrichtung der zuständigen Behörde vor Beginn des Kündigungsverfahrens bloßen Informationscharakter hat. Damit kann das Unterlassen der Anzeige an die Behörde nicht zur Nichtigkeit einer Kündigung im Rahmen einer Massenentlassung führen.
Der Zweck der Unterrichtung an die Behörde sei nicht der individuelle Schutz des Arbeitnehmers vor einer Massenentlassung, da diese Information noch in der Vorbereitungsphase, also vor dem eigentlichen Kündigungsverfahren erfolgt. Die Rolle der zuständigen Behörden in diesem Stadium sei eine passive, während sie erst im Verfahren selbst eine aktive einnähmen.
Aus der Entstehungsgeschichte der Richtlinie folgert der EuGH den Zweck des Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 98/59, den Behörden die Möglichkeit zu geben, notwendige Maßnahmen zur veränderten Arbeitsmarktsituation zu ergreifen. Es handle sich damit nicht um eine Vorgabe, die den einzelnen Arbeitgeber schützen soll.
Mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshof wird den Arbeitnehmern so eine Möglichkeit genommen, bei Versäumnis einer Anzeige an die Behörde gegen die Kündigung vorzugehen.
Arbeitgebern wird bis auf weiteres angeraten, bei der Anfertigung der Massenentlassungsanzeige größtmögliche Sorgfalt und die Einhaltung aller gesetzlich vorgesehenen Schritte zu empfehlen.